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Textquelle 1: Dr. John Emsley: Sonne, Sex und Schokolade, Wiley-VCH, Weinheim 2006Drei der Verbindungen findet man in Schokolade, einem Nahrungsmittel, das die Emotionen anheizt wie kaum ein zweites: Für manche ist sie das Sinnbild des Junk foods schlechthin und eine nahezu teuflische Versuchung. Warum ist sie eigentlich so unwiderstehlich? Die meisten Menschen mögen sie, einige können der Verlockung widerstehen, und einige Unglückliche müssen sie meiden. Manche stopfen sich mit Schokolade voll, bis ihnen schlecht wird – andere behaupten, sie bräuchten nur an einem Stückchen zu lecken, um einen allergischen Anfall auszulösen. Schokoladehersteller werben auf verschiedenste Weise für ihr Produkt. Sie loben die Bekömmlichkeit, den Nährwert und den Energiegehalt; sie schlagen vor, Schokolade an liebe Mitmenschen zu verschenken oder sich sogar selbst damit zu belohnen und zu verwöhnen. Welche Vorzüge der süße Stoff auch immer haben mag, die Risiken lassen sich eben so wenig verleugnen, und manche Leute verdammen die Schokolade, weil der Zucker die Zähne angreift, das Fett das Herz schädigt, die Kalorien das Gewicht in die Höhe treiben und der Kakao gar Migräneattacken hervorrufen kann. Eine Käuferanalyse in Großbritannien ergab, dass die meiste Schokolade – etwa 40 Prozent – von Frauen gekauft wird, gefolgt von Kindern (35 %) und Männern (25 %). Schokolade führt die Liste der Speisen an, denen man schwer widerstehen kann: Mehr als die Hälfte derer, die nach einem bestimmten Nahrungsmittel verlangen, sehnt sich nach Schokolade. Es gibt sogar Frauen, die sich selbst als „Schokoholiker" bezeichnen und behaupten, sie könnten sich gegen ihr Verlangen überhaupt nicht wehren, insbesondere nicht an den Tagen vor der monatlichen Regel. Ganz klar: Schokolade ist für sie mehr als nur eine wohlschmeckende Speise oder eine kleine Freude. Chantal Coady, Autorin des Buches Chocolate, geht der Frage des „Schokoholismus" genauer nach. Sie schreibt, dass Schokolade zwar zahlreiche aktive Verbindungen enthält, von denen einige natürliche Hormone imitieren können, dass aber keiner dieser Stoffe ein Suchtpotential birgt. Coady glaubt eher, dass Frauen in der Schokolade Trost suchen, sich einfach etwas Gutes tun möchten, und dass dieses Bedürfnis durch die intensive Süße, den wundervollen Geschmack und das angenehme Gefühl im Mund befriedigt wird. Schokolade ist ein recht ausgewogen zusammengesetztes Nahrungsmittel: Sie enthält acht Prozent Eiweiß (Protein), 60 Prozent Kohlenhydrate und 30 Prozent Fett (wenngleich der Fettgehalt an der Obergrenze des Wünschenswerten liegt). Eine der üblichen 100-Gramm-Tafeln liefert zwar 520 Kilokalorien, aber auch einige essentielle Mineralstoffe und Vitamine:
Die Mayas tranken die Schokolade; sie war allein der herrschenden Oberschicht vorbehalten. Als die Spanier gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in Mexiko landeten, dominierten dort die Azteken, deren Wirtschaft teilweise auf Kakaobohnen beruhte: In dieser Währung mussten beispielsweise eroberte Stämme ihren Tribut entrichten. Auch die aztekischen Edlen behielten die Schokolade für sich selbst. Sie sahen sie als Aphrodisiakum an – und verboten den Frauen ihren Genuss. Der Ruf der triebsteigernden Wirkung begleitete die Kakaobohne auf ihrer Reise nach Europa, und er verbreitete sich schnell. Schokolade wurde hier von Menschen beiderlei Geschlechts konsumiert, und 1624 widmete ein John Roach ihrer Verdammung ein ganzes Buch, in dem er sie mit puritanischer Missbilligung als „gewaltigen Schürer von Leidenschaften" anprangerte. Casanova, der berühmte Liebhaber des achtzehnten Jahrhunderts, bezeichnete Schokolade als sein Lieblingsgetränk. Kakaobohnen wachsen auf dem Kakaobaum, der im warmen, feuchten Klima innerhalb von 20 Breitengraden um den Äquator am besten gedeiht. Zwei Millionen Tonnen Kakaobohnen werden jährlich weltweit produziert, und zwar in Brasilien und Mexiko für den nordamerikanischen und in Westafrika für den europäischen Markt. Nach der Ernte der Kakaofrüchte werden die Bohnen herausgelöst und in die Sonne gelegt, wo sie fermentieren. Sie werden dabei braun, und ein Teil ihres Zuckers wandelt sich zunächst in Alkohol und dann in Essigsäure (wir kennen sie als Speiseessig) um. Die Essigsäure zersetzt das Pflanzenmaterial und setzt andere Aromastoffe frei. Auch Phenylethylamin (PEA) wird während des Fermentationsprozesses gebildet. Man röstet die Bohnen anschließend, um die Essigsäure größtenteils zu entfernen, und mahlt sie, wobei das Kakaofett schmilzt. Die Feinheit des Mahlens bestimmt die verschiedenen Qualitätsstufen der Schokolade. Wenn wir heutzutage von Schokolade sprechen, denken wir an ein Stück von einer Tafel. Ursprünglich war Schokolade jedoch ein Getränk: Der Name leitet sich vom aztekischen xocalatl, „bitteres Wasser", her. Man mischte den schaumigen Trunk aus Kakao, Maismehl und Zimt – um dem europäischen Geschmack näherzukommen, süßte man später mit Zucker und gab Vanille hinzu. Was auch immer Casanova geglaubt haben mag – Schokolade ist kein Aphrodisiakum, aber es ist nicht völlig von der Hand zu weisen, dass sie das Hirn in gewisser Weise beeinflusst. Analytiker haben über 300 verschiedene Schokoladenbestandteile gefunden, von denen zwei anregend wirken: Coffein, dem wir in diesem Kapitel noch begegnen werden, und sein chemischer Verwandter Theobromin, das nach dem Kakaobaum benannt wurde. Theobroma cacao, dessen botanischer Name, wird mit „Götterspeise" übersetzt. Auch Tee enthält Theobromin. Die Verbindung, die am wahrscheinlichsten für ein Wohlgefühl verantwortlich ist, das sich nach dem Genuss von Schokolade einstellen mag, ist PEA. Eine 100-Gramm-Tafel enthält davon bis zu 700 Milligramm (0,7 %), in der Regel aber viel weniger; 50 bis 100 Milligramm sind typisch. Reines PEA ist eine ölige, fischartig riechende Flüssigkeit, die man im Labor aus Ammoniak herstellen kann. PEA hat die ungewöhnliche Eigenschaft, Kohlendioxid aus der Luft aufzunehmen. Injiziert man einer Versuchsperson PEA, so steigt der Glucosespiegel im Blut ebenso wie der Blutdruck an, was ein Gefühl des Wohlbefindens und der Wachheit hervorruft. PEA kann auch die Ausschüttung von Dopamin veranlassen, der Chemikalie in unserem Hirn, die Glücksgefühle auslöst. In diesem Sinne wirkt PEA ähnlich wie Amphetamine, beispielsweise Ecstasy. In grober Näherung sind das PEA- und das Ecstasy-Molekül von ähnlicher Gestalt und Größe, und so vermutet man, dass auch die Wirkungsmechanismen ähnlich sind. Der wissenschaftliche Beweis dafür steht allerdings noch aus. Unser eigener Körper stellt selbst winzige, aber durchaus nachweisbare Mengen PEA her, und zwar aus einer der sogenannten essentiellen Aminosäuren, Phenylalanin. Wie viel PEA natürlicherweise in unserem Körper vorhanden ist, variiert; in Stresssituationen ist es mehr. Erhöhte Spiegel findet man auch bei Schizophrenen und hyperaktiven Kindern, aber dabei handelt es sich wahrscheinlich nicht um Auslöser, sondern um Symptome dieser Krankheitsbilder. Nicht jeder Mensch wird mit einer plötzlichen PEA-Zufuhr fertig. Manche reagieren generell empfindlich auf Schokolade, andere bekommen heftige Kopfschmerzen, wenn sie zu viel davon essen. Ursache dafür ist, dass PEA eine Verengung der Blutgefäße im Gehirn bewirkt. Der menschliche Körper hat keine besondere Verwendung für PEA und beschäftigt ein Enzym, die Monoamin-Oxidase, unter anderem damit, es wieder loszuwerden. Wahrscheinlich können Menschen, die Schokolade nicht vertragen, nicht genug von diesem Enzym herstellen, so dass sich ein erhöhter Spiegel aufbauen kann, der schließlich zu Migräneanfällen führt. Höchstwahrscheinlich macht Schokolade nicht süchtig, aber es gibt andere Gründe, sich das Vergnügen zu versagen. Das Fett des Kakaos, die sogenannte Kakaobutter, enthält vornehmlich (60 %) gesättigte Fettsäuren – wie Schlagsahne. Dr. Heroe Robert behauptet allerdings in seinem Buch Les vertus therapeutiques du chocolat, dass Kakaobutter – im Gegensatz zu Sahne – nicht zur Erhöhung des Cholesterinspiegels im Blut beiträgt. Das Fett in der Schokolade ist auch in anderer Hinsicht etwas Besonderes. Normale Fette sind Gemische aus gesättigten und ungesättigten Komponenten, die in einem weiten Temperaturbereich erweichen und schmelzen. Bei Schokolade ist dies jedoch ganz und gar nicht erwünscht: Sie soll buchstäblich auf der Zunge zergehen, bei einer Temperatur von etwa 35 Grad Celsius, etwas weniger als die Körpertemperatur von 37 Grad. Aus diesem Grunde gibt es nur eine Art, Schokolade richtig zu genießen: Man lege sich ein Stückchen auf die Zunge, bis es schmilzt und sein reiches Aroma entfaltet. Kakaobutter selbst kann zu einigen verschiedenen Formen erstarren, deren jede bei einer anderen Temperatur weich wird. Für feste Schokolade eignet sich nur eine Form; um sicherzugehen, dass sich diese bildet, muss man die Schokoladenmasse sorgfältig abkühlen. Wenn man Schokolade zu lange aufbewahrt, überzieht sie sich mit einer fettig-weißen Schicht: Man könnte denken, sie sei verdorben. Ist sie aber nicht: Hier hat sich kein Schimmel angesiedelt, sondern eine andere Kristallform der Kakaobutter ist ausgeblüht, die man durchaus essen kann. Solange man Schokolade nur als Heißgetränk ansah, kümmerte man sich natürlich wenig um die Chemie seiner Fette. Konditoren aus Bristol in England, die Quäker J. S. Fry & Sons, boten 1847 erstmals eine feste Schokolade als Süßigkeit zum Essen an. Zu ihrer Herstellung pressten sie die Kakaobutter aus geschmolzener Schokolade und gaben sie zu weiterer Schmelze hinzu. So erhielten sie eine einfache Schokolade mit ziemlich intensivem Geschmack. Viel populärer wurde die Milchschokolade, die der schweizerische Chemiker Henri Nestle 1876 als erster herstellte. Er gab Kondensmilch zur Schokoladenmasse, wodurch der Geschmack leichter, die Farbe heller und Kinder zur potentiellen Kundschaft wurden. Andere Quäkerfamilien – die Cadburys, die Rowntrees und die Hersheys – erschienen später auf der Bühne des Schokoladengeschäfts und bauten riesige Imperien auf, in Großbritannien ebenso wie in den USA. Seit dieser Zeit ging es mit der Schokolade ständig weiter aufwärts. Aber sie birgt ihre versteckten Gefahren, wenn auch deren größte ist, zuviel davon zu essen – besonders, wenn man dick davon wird. Arbeitsaufträge: 1. Studiere sorgfältig den Text! 2. Schreibe alle dir unbekannten chemischen Verbindungen heraus! 3. Welche Stoffe in der Schokolade wirken wie auf das Gehirn und die Psyche ein? Stelle die Wirkungsweise in Diagrammen dar! Quelle: John Emsley: Sonne, Sex und Schokolade. Mehr Chemie im Alltag, Weinheim 2006, WILEY-VCH-Verlag update am: 02.02.21 zurück zur Hauptseite |