Im allgemeinen hängen
Reaktionsgeschwindigkeiten von den Konzentrationen der reagierenden
Substanzen ab. In der Alltagserfahrung heißt diese Aussage dann: „Viel hilft
viel". Erklären lässt sich dieser Umstand mit der so genannten
Kollisionstheorie: bei hohen Konzentrationen sind zahlreiche Moleküle in
einem gegebenen Volumen zusammen, es kommt daher zu häufigeren
Zusammenstößen, in denen die reagierenden Ausgangsstoffe in die Endprodukte
verwandelt werden, die Reaktion läuft also schneller ab.
Für jede Reaktion versucht man nun, die Beziehung zwischen
der Reaktionsgeschwindigkeit, also der Konzentrationsänderung pro
Zeit und der Konzentration der Reaktanden in einer mathematischen Gleichung
anzugeben. Diese Gleichung nennt man ein
Geschwindigkeitsgesetz, weil sie zwei Größen über eine Funktion
miteinander fest verknüpft. Zuerst erfolgt die Verknüpfung über eine
Proportionalität: je mehr von dem Stoff A2 und B2
vorhanden ist, desto schneller die Reaktion. Es könnte auch heißen: Je mehr
von dem Stoff A2 oder
B2 vorhanden ist, desto schneller die Reaktion. Was stimmt,
muss experimentell herausgefunden werden. Die Reaktionsgleichung gibt
darüber keine Aussage her, sie sagt nur, dass zur Entstehung von AB eben A
und B vorhanden sein muss. Wer aber von den beiden Partnern die
Reaktionsgeschwindigkeit bestimmt, beide oder einer alleine, ist eine Frage
des Experiments.
Aus der
Proportionalitätsbeziehung: „Je mehr von A2 und/oder B2
vorhanden sind, desto schneller entsteht AB" entsteht durch Einführung einer Proportionalitätskonstanten
eine Aussage in der Form einer Funktion: Die Reaktionsgeschwindigkeit ist eine
Funktion der Konzentration von A2 und/oder B2, die
Proportionalitätskonstante wird zur Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten.
Sie hängt dann nur noch von den Parametern der Reaktion ab, d.h. Druck
und/oder Temperatur und von der Komponente, auf die sie sich bezieht.
1. Beispiel: N2O5
(Distickstoffpentoxid) zersetzt sich von alleine zu NO2 und O2.
Die Geschwindigkeit ist direkt proportional der N2O5-Konzentration.
Die Reaktionsgleichung lautet: 2 N2O5(g) –> 4 NO2(g)
+ O2(g)
Die Geschwindigkeitsgleichung lautet: RG(N2O5) = - k *
c(N2O5)
2. Beispiel:
NO2
(Stickstoffdioxid) reagiert mit HCl (Chlorwasserstoffgas) zu Stickoxid NO,
Wasser und Chlorgas.
Die Reaktionsgleichung lautet: NO2(g) + 2 HCl(g) -----> NO(g) + H2O(g)
+ Cl2(g)
Die Reaktionsgeschwindigkeit ist dem Produkt der Konzentrationen von NO2
und HCl proportional: wenn die Konzentrationen verdoppelt werden,
vervierfacht sich die Reaktionsgeschwindigkeit. Also lautet die
Geschwindigkeitsgleichung: RG(NO2) = - k * (c(NO2)*c(HCl)
3. Beispiel:
Stickoxid NO reagiert mit Wasserstoff zu Stickstoff und Wasserdampf.
Die Reaktionsgleichung lautet: 2 NO(g) + 2 H2(g) -------> N2(g)
+ 2 H2O(g)
Das Geschwindigkeitsgesetz lautet: RG(N2) = k * c2(NO)
* c(H2)
Die Reaktionsgeschwindigkeit ist also dem Produkt der NO-Konzentration im
Quadrat und der Wasserstoff-Konzentration proportional. Sie ist nicht dem
Quadrat der Wasserstoffkonzentration proportional, wie aus der
Reaktionsgleichung zu erwarten wäre.
Alle drei Beispiele zeigen:
Das Geschwindigkeitsgesetz kann nicht aus der Reaktionsgleichung abgeleitet
werden, scheinbare Übereinstimmungen in den Koeffizienten und
Exponenten sind in der Regel zufällig und nicht systembedingt.
Der Grund für die Nichtübereinstimmung der Koeffizienten
in der Reaktionsgleichung mit den Exponenten der Konzentrationen im
Geschwindigkeitsgesetz liegt darin, dass der wirkliche Mechanismus der
chemischen Reaktion nicht in einem gleichzeitigen Zusammenstoß so vieler
Moleküle besteht, wie sie die Reaktionsgleichung angibt. Im 3. Beispiel
müssten vier Moleküle gleichzeitig reagieren, d.h. zusammenstoßen, um zu den
gewünschten Produkten zu kommen. Das jedoch ist äußerst unwahrscheinlich
bzw. nur äußerst gering wahrscheinlich.
In Wirklichkeit baut sich der Gesamtmechanismus
aus einer Reihe kleinerer Schritte auf, die vorwiegend aus Zusammenstößen
zweier Moleküle bestehen, deren Produkt/e (Zwischenverbindung/en) dann
wieder einen Zweierstoß eingehen usw. Das experimentell gewonnene
Geschwindigkeits-gesetz ist jedoch eine Zusammenfassung aller dieser
Einzelschritte, die Konzentrationen der Reaktionspartner beeinflussen es in
komplizierter Weise. Die Erforschung des Geschwindigkeitsgesetzes ist nur
der 1. Schritt bei der Aufklärung des tatsächlichen Reaktionsmechanismus,
und nicht mehr. Nur bei einfachen, in einem Schritt ablaufenden Reaktionen,
stimmt die Ordnung des Geschwindigkeitsgesetzes mit den Koeffizienten der
Reaktionsgleichung überein, und das gilt fast ausschließlich für
Zersetzungs- und Zerfallsreaktionen 1. Ordnung sowie bei relativ seltenen
Reaktionen 2. Ordnung, die durch den Zusammenstoß zweier Moleküle
gekennzeichnet sind und nicht durch Nebenreaktionen verkompliziert werden.
Während also das
Geschwindigkeitsgesetz
die funktionale Beziehung zwischen der Reaktionsgeschwindigkeit eines
Stoffes und der Konzentration desselben oder eines anderen, an der Reaktion
beteiligten Stoffes formuliert, wobei die Geschwindigkeitskonstante dann nur
noch den Zahlenwert angibt, nennt die Reaktionsordnung die Summe der
Exponenten der Konzentrationsparameter im Geschwindigkeitsgesetz.
Im 1. Beispiel
ist die Zersetzung von N2O5 eine Reaktion 1. Ordnung,
da der Exponent des Konzentrationsterms c(N2O5) gleich
1 ist.
Im 2. Beispiel,
der Reaktion von NO2 mit HCl, ist die Reaktion erster Ordnung
bezüglich NO2, erster Ordnung bezüglich HCl und so insgesamt eine
Reaktion 2. Ordnung.
Im 3. Beispiel
ist die Reaktion zweiter Ordnung bezüglich NO, weil dessen Konzentration im
Quadrat vorkommt und erster Ordnung bezüglich der Wasserstoff-Konzentration,
insgesamt also dritter Ordnung.
Wie schon gesagt, muss das Geschwindigkeitsgesetz und die
Reaktionsordnung experimentell bestimmt werden. Aus der Reaktionsgleichung
sind sie nicht abzuleiten. Die Reaktionsordnung kann auch gebrochenzahlig
sein oder Null betragen: Acetaldehyd zersetzt sich bei 450 °C an einer
Goldoberfläche mit der Reaktionsordnung 3/2, die Zersetzung von N2O
bei hohen Temperaturen verläuft nach einer Reaktion 0. Ordnung, d.h. hängt
von keiner Konzentration ab, sondern nur von der Temperatur und dem Druck.
Chemisch ähnliche Reaktionen müssen nicht dem gleichen
Geschwindigkeitsgesetz folgen und Geschwindigkeitsgesetze können mitunter
komplizierte Gleichungen darstellen.
Übersicht:
Reaktion 0.
Ordnung
Das Geschwindigkeitsgesetz für die Reaktion des
Reaktanden A lautet:
RG(A) = dc(A)/dt = -k * c0(A) = - k
Reaktion 1.
Ordnung
Das Geschwindigkeitsgesetz für die Reaktion des
Reaktanden A lautet:
RG(A) = dc(A)/dt = -k * c(A) bzw. dc(A)/c(A) = - k* dt
Reaktion 2.
Ordnung
Das Geschwindigkeitsgesetz für die Reaktion des
Reaktanden A lautet:
RG(A) = dc(A)/dt = -k * c2(A) bzw. dc(A)/c2(A) = - k*
dt
Die Geschwindigkeit einer Reaktion hängt vom Mechanismus
ab, mit dem sich die Reaktion vollzieht. Der
Reaktionsmechanismus beschreibt aber auch, wie die
Reaktionsgeschwindigkeit von den Konzentrationen der Ausgangsprodukte
abhängt. Eine kinetische Untersuchung untersucht also das Verhältnis
zwischen Reaktionsgeschwindigkeit und den Konzentrationen der
Ausgangsstoffe, um einen Mechanismus für die Reaktion vorzuschlagen. Gibt es
hierfür keine einfachen Lösungen, ist es sehr wahrscheinlich, dass der
Mechanismus über mehrere Einzelschritte (Elementarreaktionen) verläuft, die
in der Summe den Mechanismus beschreiben.
Die meisten Reaktionen vollziehen sich in einem
komplizierten Mechanismus, an dem verschiedene
Elementarreaktionen beteiligt sind, in denen unterschiedliche
Bindungen der Ausgangsstoffe und Zwischenprodukte gebrochen und neu
geschlossen werden. Damit man Reaktionen mit komplexeren Mechanismen
verstehen kann, müssen zuerst die Geschwindigkeitsbeziehungen für
Elementarreaktionen formuliert werden.
Unter einer Elementarreaktion versteht man nun eine
Reaktion, die durch eine einzelne Kollision der Ausgangsstoffe entsteht. Das
bedeutet jedoch nicht, dass alle Zusammenstöße der Ausgangsstoffe zu einer
Reaktion führen, im Gegenteil: nur einer kleiner Bruchteil der Kollisionen
führt zu Stoffumwandlungen, damit zu einer feststellbaren Reaktion. Welche
Voraussetzungen und Bedingungen daran geknüpft sind, wird noch zu erörtern
sein.
Wenn nur eines der Teilchen in der Kollision reagiert,
d.h. unter Bindungsbruch und -neubildung sich verändert, spricht man von
einer monomolekularen Reaktion. D.h. das andere, an der Kollision beteiligte
Teilchen muss sich nicht unbedingt verändern, damit sich das erstere
verändern kann.
Wenn beide an der Kollision beteiligten Teilchen eine
Reaktion eingehen, spricht man von einer bimolekularen Reaktion.
Dabei kann es sich um zwei verschiedene Teilchen oder um zwei Teilchen
derselben Sorte handeln.
Trimolekulare Reaktionen oder Elementarreaktionen mit vier und mehr
Teilchen sind äußerst unwahrscheinlich.
Die Geschwindigkeitsbeziehung für eine
Elementarreaktion kann durch
Anwendung eben dieser Reaktionsgleichung formuliert
werden, das gilt aber ausdrücklich nicht für die Gesamtreaktion. Sind an
einer bimolekularen Elementarreaktion zwei Stoffe A und B beteilt, lautet
das Geschwindigkeitsgesetz:
RG(AB) = k * c(A) * c(B) .
Sind an der bimolekularen Elementarreaktion jedoch nur
Teilchen des Ausgangsstoffes vorhanden, so lautet das
Geschwindigkeitsgesetz:
RG (A) = k * c(A) * c(A) = k * c2(A) .
Allgemein: Das
Geschwindigkeitsgesetz einer Elementarreaktion ist das Produkt der
Konzentrationen der Ausgangsstoffe mit einem Exponenten, der der Zahl der
reagierenden Teilchen dieses Typs entspricht.
Es sei noch mal betont: die Formulierung der
Geschwindigkeitsbeziehung durch Anwendung der stöchio- metrischen
Reaktionsgleichung gilt nur für Elementarreaktionen. Für die meisten
chemischen Reaktionen, die aus einer Folge von Einzelschritten bestehen,
kann also die Geschwindigkeitsbeziehung nicht aus der stöchio- metrischen
Gleichung ermittelt werden, es sei denn, die Reaktionsgleichung für die
Gesamtreaktion und für die Elementarreaktionen seien identisch.
Hat man für eine Reaktion einen Mechanismus in einer Folge
von Einzelschritten formuliert, dann können die experimentell bestimmten
Geschwindigkeitsbeziehungen der einzelnen Schritte (Elementarreaktionen) mit
den aus dem Mechanismus abgeleiteten Beziehungen verglichen werden. Wenn
beide Beziehungen über- ein- stimmen, dann mag der vorgeschlagene
Mechanismus korrekt sein. Verschiedene Mechanismen können dieselben
Geschwindigkeitsbeziehungen aufweisen, aus diesem Grunde ist die
Übereinstimmung mit der experimentell ermittelten Geschwindigkeitsbeziehung
noch kein Beweis für die Richtigkeit des Mechanismus.
Zur Vereinfachung der Komplexität des Sachverhalts geht
man methodisch nun so vor, dass man die einzelnen Elementarreaktionen in
ihrer Geschwindigkeit unterscheidet, was sicher sehr wahrscheinlich ist und
aus den einzelnen Reaktionsschritten einen langsamen, und deswegen
geschwindigkeitsbestimmenden Schritt herausdestilliert. Für
diesen geschwindigkeitsbestimmenden Schritt wird eine
Geschwindigkeitsbeziehung entsprechend dem Mechanismus dieses Schritts
formuliert, die anderen schnellen, nicht geschwindigkeitsbestimmenden
Schritte fallen dann nicht einfach weg, sondern können durch Beziehungen
zwischen verschiedenen Elementarreaktionen gleichsam „elimiert" werden.
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